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Kaum öffnet sich die Tür, schlägt uns Hitze und Lärm entgegen, und in der Luft hängt ein ganz bestimmter Geruch. So weit, so vorhersehbar. Aber wer hätte gedacht, dass in einem Fahrradreifen so viel Handarbeit steckt?

Es ist paradox: Reifen spielen eine wesentliche, wenn nicht sogar entscheidende Rolle für das Fahrerlebnis. Aber so lange sie ihre Aufgabe zufriedenstellend und defektfrei erfüllen, erhalten sie kaum Aufmerksamkeit. Dabei ist die Erzeugung eines guten Fahrradreifens ein komplizierter und arbeitsintensiver Prozess.

Handgemacht

Natürlich sind jede Menge Maschinen involviert. Solche, die walzen, solche, die stanzen, solche, die schneiden und solche, die kochen. Aber jede einzelne von ihnen wird händisch bedient und von Menschen kontrolliert und überwacht. Und seinen Anfang nimmt der Produktionsprozess in einem gänzlich manuellen Arbeitsschritt: Mittels scharfer Messer und kleiner Schüsseln zapfen die Kautschukbauern im Süden Thailands den Latex genannten Milchsaft, welcher als natürliche Basis und Rohmaterial der Reifenindustrie dient.

Kenda in Taiwan © Kenda, Steve Thomas
Die Gummimischung wird hier zu flachen Bahnen gewalzt © Steve Thomas

Wir stehen inmitten einer Produktionshalle von Kenda Taiwan. Hier werden ausschließlich Fahrradreifen und Motorradreifen hergestellt, und außerdem noch alle Arten von Schläuchen.

Durchschnittlich verlassen rund 20.000 Reifen und 70.000 Schläuche täglich diese Fabrik. Das Unternehmen ist riesig und unter anderem auch als Hersteller für Reifen und Schläuche anderer namhafter Marken in der Fahrradbranche etabliert.

Akribisch geprüft

Wir passieren überdimensionale Mixer, mächtige Pressen, komplizierte Extrusionsmaschinen und einfache Werkbänke. Schritt für Schritt werden dabei aus breiten, flachen Matten dünne, kreisrunde Rohlinge, die schließlich in speziellen Gussformen wie durch Zauberhand ihr jeweiliges Profil erhalten.

All das ist interessant und beeindruckend. Aber erst in der Qualitätskontrolle, wo jeder einzelne Reifen von Hand gecheckt und jeder einzelne Schlauch aufgeblasen, liegengelassen und 24 Stunden später erneut überprüft wird, begreifen wir endgültig: Welch Aufwand hinter all den Gummiwürsten steckt, die wir oft so achtlos auf den Trails und Straßen foltern!

Arbeiterin bei Kenda Tires in Taiwan © Steve Thomas
© Steve Thomas

Die Produktion Step by Step

Step 1:

Auch die größten Reifenhersteller Asiens sind zuallererst auf kleine Kautschukbauern in Thailand angewiesen. Diese zapfen im Morgengrauen den langsam rinnenden Latex aus ihren Bäumen. In Blockform getrocknet, wird das Naturmaterial verschifft.

Step 2:

Bei Kenda angekommen, wird der Naturkautschuk mit synthetischem gemischt und, abhängig vom gewünschten Endprodukt, mit Zusätzen wie Schwefel, Zinkoxid, Kohlenschwarz und Antioxidationsmitteln versetzt. Dies passiert unter hoher Temperatur in Banbury-Mischern wie diesem.

Step 3:

Die zähe Gummimischung wird anschließend zu flachen Bahnen gewalzt und zwischengelagert. Schwarz sind sie übrigens nur, wenn Kohlenstoff beigemengt wurde. Der verbessert die Strapazierfähigkeit, und schafft damit eine wesentliche Eigenschaft für künftige Reifenstollen.

Step 4:

Die nunmehr deutlich schmäleren, langen Bänder werden mittels Transportrollen zur Extrusionsmaschine gezogen. Dank zweier Eingänge kann diese zweierlei Verbundstoff e zu einer Lauffläche vereinen. Die Voraussetzung für Kendas DTC Gummimischung (Dual Tread Compound), …

Step 5:

… die beispielsweise weicheren, besser haftenden Gummi an den Rändern mit einem abriebfesteren und leichter rollenden Bereich in der Mitte kombiniert. Mittels Druck und Hitze formt die Extrusionsmaschine die noch profillose Lauffläche, während Wasser für Kühlung sorgt.

Step 6:

Nun sind besonders erfahrene Hände gefragt: Alle für eine Karkasse nötigen Bestandteile – Lauffläche, Seitenwände, Schutzgewebe, Aramidfasern, ja, sogar Logos – werden um eine Trommel gewickelt, welche sich ausdehnt und so durch Druck den sogenannten „grünen Reifen“ formt.

Step 7:

Für die Ausbildung des Reifenprofils braucht’s erneut Druck (von einem speziellen Innenschlauch) und Hitze. Bei 175 Grad rinnt der Gummi in eine stählerne Negativform. Dank variabler Formkörper ist die Vulkanisierungsanlage fähig, unterschiedlichste Profile für Straßen-, MTB- und sogar Motorradreifen zu produzieren.

Step 8:

Die QC-Mitarbeiter inspizieren jeden Reifen, der aus der Vulkanisierungsanlage kommt – und werden auch selbst streng kontrolliert. Wer bei den monatlichen Tests die absichtlich eingebauten Produktionsfehler übersieht, muss an Schulungen teilnehmen.

Step 9:

Auch die 70.000 täglich produzierten Schläuche werden vor der Auslieferung überprüft. Jeder einzelne wird auf 140 % seiner vorgesehenen Größe aufgeblasen und einen Tag liegengelassen. Wer vorzeitig Luft verliert, scheidet aus.

Text: Lisi Hager